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Die Macht der Gewohnheit


„Die Gewohnheit ist ein Seil; wir weben jeden Tag einen Faden, und schließlich können wir es nicht mehr zerreißen.“

Thomas Mann





 a.    Definition und Bedeutung von Gewohnheiten


Gewohnheiten spielen eine zentrale Rolle in unserem täglichen Leben. Sie beeinflussen, wie wir unseren Tag strukturieren, wie wir Entscheidungen treffen und wie wir unsere Ziele erreichen. Doch was genau sind Gewohnheiten und warum sind sie so wichtig?

Um zu verstehen, wie mächtig Gewohnheiten sind und wie sehr sie uns in unserem täglichen Alltag beeinflussen, müssen wir erst einmal verstehen, was sie eigentlich sind und was man als Gewohnheit definiert.


Gewohnheiten sind Verhaltensweisen, die regelmäßig und oft unbewusst ausgeführt werden. Sie entstehen durch Wiederholung und werden mit der Zeit automatisiert. Der amerikanische Psychologe William James definierte eine Gewohnheit als "eine auf eine feste Weise organisierte Sequenz von Aktionen, die sich durch häufige Wiederholung einprägt und die den geringsten Aufwand für die Ausführung benötigt".

Ein einfaches Beispiel für eine Gewohnheit ist das morgendliche Zähneputzen. Diese Handlung wird so oft wiederholt, dass sie schließlich automatisch abläuft, ohne dass wir bewusst darüber nachdenken müssen. Diese Automatisierung ist ein wesentliches Merkmal von Gewohnheiten und unterscheidet sie von bewussten, willentlichen Handlungen.

Haben Sie schon mal versucht sich die Zähne mit ihrer anderen Hand zu putzen? Probieren Sie das doch einfach mal aus und Sie werden merken, wie ungewohnt und komisch sich das für Sie anfühlen wird.


Hat sich eine Angewohnheit erst einmal etabliert, so ist es verdammt schwer sich von dieser wieder zu lösen. Deshalb müssen wir versuchen in unserem Alltag möglichst viele gute Angewohnheiten zu etablieren und uns der schlechten Angewohnheiten bewusst werden. So können wir verhindern, dass unser Autopilot, in den wir aufgrund der Vielzahl an Aufgaben, die wir über den Tag verteilt ausgesetzt sind uns in eine Richtung leitet, die wir nicht beabsichtigen und aus der wir Schwierigkeiten haben werden wieder herauszukommen.

 

a)    Wie Gewohnheiten entstehen


Das Verständnis darüber, wie Gewohnheiten entstehen, ist entscheidend, um sie gezielt formen oder ändern zu können. Dieser Prozess, auch bekannt als Habitualisierung, involviert mehrere Schritte und wird von verschiedenen psychologischen und biologischen Faktoren beeinflusst. In diesem Kapitel werden wir die Entstehung von Gewohnheiten detailliert untersuchen, einschließlich der Rolle von Wiederholung, Auslösereizen und Belohnungen.

Zuerst einmal sei gesagt, dass Gewohnheiten nicht über Nacht entstehen. Sie entwickeln sich allmählich durch wiederholte Ausführung bestimmter Verhaltensweisen. Diesen Prozess kann man in mehrere Phasen unterteilen:

 

1.    Initiationsphase: In dieser ersten Phase wird ein neues Verhalten eingeführt. Dies kann durch einen bewussten Entschluss geschehen, wie z.B. das Starten eines neuen Fitnessprogramms, oder durch eine externe Motivation, wie z.B. die Empfehlung eines Arztes.

 

2.    Lernen und Wiederholung: Damit ein Verhalten zur Gewohnheit wird, muss es regelmäßig wiederholt werden. Wiederholung verstärkt die neuronalen Verbindungen im Gehirn, die mit dem Verhalten verbunden sind, und macht es wahrscheinlicher, dass das Verhalten automatisch ausgeführt wird.

 

3.    Automatisierung: Mit der Zeit wird das Verhalten automatisiert und kann ohne bewusste Anstrengung ausgeführt werden. In dieser Phase wird das Verhalten zur Gewohnheit und läuft routinemäßig ab.

 

Der Prozess der Gewohnheitsbildung wird oft durch das Konzept der Gewohnheitsschleife (Habit Loop) erklärt, das aus drei Hauptkomponenten besteht:

 

Auslösereiz (Cue): Ein spezifischer Reiz oder Trigger, der das Verhalten auslöst. Dieser kann intern (ein Gefühl oder Gedanke) oder extern (eine bestimmte Zeit oder Umgebung) sein. Beispiele für Auslösereize sind das Aufwachen am Morgen oder das Betreten eines bestimmten Raumes.

 

Routine (Routine): Die eigentliche Handlung oder das Verhalten, das durch den Auslösereiz aktiviert wird. Dies kann alles sein, von Zähneputzen bis hin zu regelmäßigen Pausen während der Arbeit.

 

Belohnung (Reward): Ein positiver Effekt, der auf das Verhalten folgt und es verstärkt. Belohnungen können physisch (wie der Geschmack eines Snacks), emotional (Gefühl der Entspannung) oder sozial (Lob von anderen) sein. 

 

Ein Beispiel für eine Gewohnheitsschleife könnte folgendermaßen aussehen:


Auslösereiz: Sie sehen Ihre Laufschuhe am Morgen.

Routine: Sie gehen joggen.

Belohnung: Sie fühlen sich energiegeladen und stolz auf sich selbst.

 

In unserem Beispiel handelt es sich um ein positives Beispiel. Es könnte sich hierbei jedoch auch um ein negatives Beispiel handeln wie z.B.:


Auslösereiz: Sie fühlen sich gestresst.

Routine: Sie greifen zu einer Zigarette, einem Glas Wein oder Süßigkeiten.

Belohnung: Sie fühlen sich entspannt und/oder genießen den Geschmack.

 

Daher ist es wichtig, dass wir uns darüber klar werden, was wir mit unserem Verhalten auslösen und das wir in der Lage sind negative Gewohnheiten zu erkennen. Dies bedeutet nicht, dass Sie kein Glas Wein oder keine Süßigkeiten mehr genießen dürfen oder sollen. Es geht lediglich darum zu erkennen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer ungesunden Angewohnheit entwickelt, wenn Sie dieses Verhalten in kurzer Zeit wiederholen.


Es ist für uns essenziell zu verstehen, dass Wiederholung der Schlüssel zur Gewohnheitsbildung ist. Durch wiederholte Ausführung eines Verhaltens wird das Gehirn dazu trainiert, das Verhalten automatisch auszuführen. Untersuchungen zeigen, dass es im Durchschnitt etwa 66 Tage dauert, bis ein neues Verhalten zur Gewohnheit wird, obwohl dies je nach Komplexität des Verhaltens und individuellen Unterschieden variieren kann.

Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen, dass es (bei mir zumindest) deutlich schneller geht negative Angewohnheiten zu einer Routine zu machen als eine positive Angewohnheit. Bei positiven Angewohnheiten müssen wir in den ersten 66 Tagen in der Regel eher kämpfen, während negative Angewohnheiten sich eher einschleichen.

 

b)    Neuronale Grundlage


Lassen Sie uns, um das Thema Gewohnheiten besser zu verstehen, einen Blick darauf werfen, was in unserem Gehirn passiert. Die Bildung von Gewohnheiten ist nämlich eng mit Veränderungen in der Hirnstruktur verbunden. Die Basalganglien, eine Gruppe von Kernen im Gehirn, spielen eine zentrale Rolle bei der Gewohnheitsbildung. Dieses Hirnareal ist für die Speicherung und Abrufung von automatisierten Verhaltensmustern verantwortlich. Wenn eine Handlung oft genug wiederholt wird, werden die entsprechenden neuronalen Bahnen gestärkt, was zur Automatisierung des Verhaltens führt. Sie können sich die neuronalen Bahnen in diesem Fall wie einen Muskel vorstellen, den Sie regelmäßig trainieren. Wie ein Muskel werden diese neuronalen Bahnen stärker, und unser Gehirn präferiert die Nutzung dieser Bahnen, da es Energie spart, da wir nicht mehr aktiv darüber nachdenken müssen.


Aber was treibt uns dazu, diese Gewohnheiten zu entwickeln und aufrechtzuerhalten? Hier kommen Neurotransmitter wie Dopamin ins Spiel. Dopamin ist ein Neurotransmitter, der mit Belohnung und Motivation in Verbindung gebracht wird. Wenn wir eine Handlung ausführen, die mit einer angenehmen Erfahrung verbunden ist, wie zum Beispiel das Trinken einer Tasse Kaffee am Morgen, wird Dopamin ausgeschüttet. Diese Ausschüttung verstärkt die neuronalen Verbindungen, die mit dieser Handlung verbunden sind, und macht es wahrscheinlicher, dass wir sie in Zukunft wiederholen.


Interessanterweise können Hormone und Neurotransmitter auch unbewusste Handlungen beeinflussen, oft mehr, als wir uns bewusst sind. Gerade in Zeiten von Stress und Überforderung sind Hormone wie Cortisol stark präsent und beeinflussen unsere Entscheidungen und Handlungen auf subtile Weise. So denken wir vielleicht, dass wir am Steuer sitzen und bewusst handeln, aber tatsächlich sind es oft diese hormonellen und neurochemischen Signale, die einen Großteil unseres Verhaltens steuern, besonders wenn es um routinemäßige oder automatisierte Handlungen geht.


Ein Beispiel dafür, wie Hormone und Neurotransmitter unser Verhalten beeinflussen, ist der Zusammenhang zwischen Stress und dem Verlangen nach bestimmten Nahrungsmitteln oder Getränken. Wenn unsere Cortisolspiegel hoch sind, wie es oft der Fall ist, wenn wir gestresst sind, reagiert unser Körper oft mit dem Verlangen nach energiereichen Lebensmitteln wie Süßigkeiten oder fettigen Snacks. Dies liegt daran, dass unser Gehirn in Zeiten von Stress nach schnell verfügbaren Energiequellen sucht, um mit der Belastung umzugehen. Das Verlangen nach diesen Nahrungsmitteln wird durch die Freisetzung von Neurotransmittern wie Serotonin verstärkt, die vorübergehend ein Gefühl der Entspannung und des Wohlbefindens erzeugen können.


Ähnlich verhält es sich mit dem Verlangen nach Alkohol. Wenn wir gestresst sind und unsere Cortisolspiegel hoch sind, neigen wir eher dazu, Alkohol zu konsumieren, um uns zu entspannen und den Stress abzubauen. Der Alkoholkonsum führt zu einer Freisetzung von Endorphinen, unseren körpereigenen "Wohlfühl"-Chemikalien, die vorübergehend Angst und Spannung lindern können.


Viele Menschen kennen dieses Gefühl, wenn sie abends nach Hause kommen und von einem anstrengenden Tag entspannen möchten. Das Bedürfnis nach einem Glas Wein oder einem Stück Schokolade kann in solchen Momenten besonders stark sein, und das liegt oft daran, dass unser Körper auf physiologischer Ebene nach Möglichkeiten sucht, den Stress abzubauen und eine angenehme Atmosphäre zu schaffen.


Es ist daher wichtig für uns, die Grenze zwischen unserem bewussten Willen und den Einflüssen unseres Unterbewusstseins zu erkennen. Ein effektiver Ansatz hierbei ist es, bewusst zu entscheiden, ob wir wirklich Lust auf bestimmte Handlungen haben oder ob diese nur durch unbewusste Impulse gesteuert sind. Zum Beispiel kann es hilfreich sein, wenn wir das Verlangen nach einem Stück Schokolade verspüren, uns selbst zu sagen, dass wir noch 10 Minuten warten werden. Oftmals führt diese Verzögerung dazu, dass der Appetit oder die Lust auf die Schokolade nachlässt.


Es wird auch oft darüber gesprochen, wie wichtig es ist, ein Stressmanagement zu entwickeln, um nicht krank zu werden. Ebenso entscheidend ist jedoch ein gutes Stressmanagement, um gute Entscheidungen zu treffen. Wenn wir in der Lage sind, unseren Stress zu managen, wird es uns viel leichter fallen, gute Gewohnheiten zu etablieren und zu erkennen, wann unser Verhalten uns langfristig eher schadet als nützt. Mit einem effektiven Stressmanagement können wir quasi leichter das Steuer übernehmen und bewusste Entscheidungen treffen, die unserem langfristigen Wohlbefinden dienen.


c) Die Rolle von Belohnungen bei der Gewohnheitsbildung


Die Rolle der Belohnung bei der Entwicklung von Gewohnheiten ist von entscheidender Bedeutung, da sie als kraftvoller Anreiz dient, ein bestimmtes Verhalten zu wiederholen und somit den Prozess der Gewohnheitsbildung zu fördern. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, die die Wirkung der Belohnung auf die Ausbildung von Gewohnheiten beeinflussen.


Zunächst ist die Motivation ein wesentlicher Aspekt. Eine belohnende Erfahrung oder Reaktion motiviert uns dazu, ein bestimmtes Verhalten zu wiederholen. Wenn wir positive Konsequenzen aus einem Verhalten erleben, sei es in Form von Zufriedenheit, Wohlbefinden oder Anerkennung, steigt unsere Bereitschaft, dieses Verhalten erneut auszuführen, um die Belohnung erneut zu erfahren. Die Aussicht auf eine positive Reaktion verstärkt somit das Verhalten und fördert die Gewohnheitsbildung.


Des Weiteren spielt die Konsistenz und Vorhersagbarkeit der Belohnung eine entscheidende Rolle. Wenn die Belohnung jedes Mal auftritt, wenn das gewünschte Verhalten ausgeführt wird, verstärkt dies die Verknüpfung zwischen dem Verhalten und der Belohnung. Eine zuverlässige Belohnung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Verhalten zur Gewohnheit wird, da die Erwartung der Belohnung das Verhalten verstärkt.


Darüber hinaus können individuelle Unterschiede in der Wahrnehmung von Belohnungen eine Rolle spielen. Was für eine Person als belohnend empfunden wird, kann für eine andere Person möglicherweise weniger motivierend sein. Externe Belohnungen wie Lob oder materielle Güter können für manche Menschen motivierend sein, während andere eher auf intrinsische Belohnungen wie ein Gefühl der Erfüllung oder Selbstbestätigung reagieren.

Die zeitliche Nähe zwischen dem Verhalten und der Belohnung ist ebenfalls von Bedeutung. Je näher die Belohnung zeitlich auf das Verhalten folgt, desto stärker wird die Verknüpfung zwischen beiden hergestellt. Eine sofortige Belohnung nach dem gewünschten Verhalten verstärkt die Assoziation und fördert die Gewohnheitsbildung effektiver als eine verzögerte Belohnung.


Insgesamt ist die Belohnung ein mächtiger Anreiz, der unser Verhalten maßgeblich beeinflusst und die Ausbildung von Gewohnheiten maßgeblich unterstützt. Durch die Motivation, die Konsistenz der Belohnung, individuelle Präferenzen und die zeitliche Nähe zwischen Verhalten und Belohnung wird das Verhalten verstärkt und in das Repertoire automatisierter Verhaltensmuster integriert.

In diesem Kapitel hatten wir dieses Beispiel bereits für eine mögliche Gewohnheitsschleife genutzt. Lassen Sie uns dieses Beispiel auch nochmal im Zusammenhang mit der Belohnung näher beleuchten.


Sie möchten das tägliche Joggen zu einer Gewohnheit machen. Wenn Sie jeden Morgen nach dem Joggen ein erfrischendes Gefühl der Zufriedenheit und des Wohlbefindens verspüren, fungiert dieses positive Erlebnis als Belohnung für Ihr Verhalten. Diese Belohnung motiviert Sie dazu, am nächsten Morgen erneut joggen zu gehen, um das Gefühl der Zufriedenheit wieder zu erleben.


Die Konsistenz der Belohnung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Wenn Sie jeden Tag nach dem Joggen das gleiche positive Gefühl erleben, verstärkt sich die Verknüpfung zwischen dem Joggen und dem Gefühl der Zufriedenheit. Dadurch wird es wahrscheinlicher, dass das Joggen zu einer festen Gewohnheit wird.


Wie dieses Beispiel verdeutlicht, ist die Belohnung ein entscheidender Faktor bei der Ausbildung von Gewohnheiten. Sie motiviert uns, ein bestimmtes Verhalten zu wiederholen, stärkt die Verknüpfung zwischen Verhalten und Belohnung und unterstützt so die Entwicklung von langfristigen Gewohnheiten.


Die Macht der Gewohnheit spielt eine zentrale Rolle in unserem täglichen Leben, indem sie unser Verhalten und unsere Entscheidungen weitgehend beeinflusst. Gewohnheiten sind oft tief in unserem Unterbewusstsein verankert und bestimmen, wie wir auf bestimmte Reize reagieren. Indem wir uns bewusst mit unseren Gewohnheiten auseinandersetzen, können wir jedoch die Kontrolle über sie zurückgewinnen. Es ist von entscheidender Bedeutung zu verstehen, dass wir in der Lage sind, unsere Gewohnheiten aktiv zu steuern und zu verändern. Durch das Hinterfragen und Analysieren unserer bestehenden Verhaltensmuster können wir schädliche Gewohnheiten erkennen und durch gesündere, förderliche Routinen ersetzen. Dieser Prozess erfordert zwar Zeit und Anstrengung, aber die bewusste Integration neuer, positiver Gewohnheiten kann unser Wohlbefinden und unsere Lebensqualität erheblich verbessern. Letztlich liegt die Macht, unser Verhalten zu verändern, in unseren eigenen Händen – es bedarf nur der Entschlossenheit und des Willens zur Selbstreflexion.

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